14 Dez 2017
/
Autor:
Wolfgang Pinner
/ Pixabay/CCO Public Domain/FelixMittermeier
Aufgrund des aktuellen Schönheitsideals und wegen der Konsequenzen für die individuelle Gesundheit wird Übergewicht heute sehr negativ bewertet. Die weltweite Verbreitung der Adipositas ist allerdings ein Thema der jüngsten Vergangenheit. Erst in den letzten Jahren ist die Anzahl übergewichtiger und fettleibiger Menschen sprunghaft angestiegen. Nachdem der Fokus der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jahrelang auf Unter- und Mangelernährung lag, schlägt das Pendel jetzt in die andere Richtung aus. 2014 waren gemäß WHO 1,9 Milliarden Menschen übergewichtig, davon 600 Millionen fettleibig. Bereits 2006 lag nach Berechnungen der OECD der Anteil der Übergewichtigen an der Weltbevölkerung bei 16 %, jener der unterernährten Menschen bei lediglich 12 %. Im globalen Vergleich ist der Anteil der fettleibigen Erwachsenen derzeit in den USA am höchsten, gefolgt von Mexiko und Neuseeland. Am Beispiel von Mexiko ist zu erkennen, dass die Anzahl der unter Fettleibigkeit leidenden Menschen auch in den Schwellenländern dramatisch zunimmt. In den Schwellenländern wie auch in den Industrieländern ist eine negative Korrelation von Adipositas zu Einkommen, Bildung und sozialem Status gegeben.
Die Erklärungsansätze für die steigende Anzahl von Übergewichtigen und Fettleibigen gehen unter anderem in Richtung veränderter Lebensweisen. Der Alltag vieler Menschen ist geprägt durch sitzende Tätigkeiten, wenig Bewegung und vermehrten Stress in Beruf und Freizeit. Das Fehlen geregelter Mahlzeiten und das Verzweifeln am gängigen Schönheitsideal sind weitere sozio-kulturelle Faktoren, die Übergewicht begünstigen können. Die Dynamik in Richtung höherer Verbreitung der Fettleibigkeit ist ausgeprägt. Dabei wird die Nahrungsmittelindustrie von vielen Seiten als eine Ursache des Problems gesehen. Unter anderem gerät Fast Food in den Mittelpunkt der Kritik. Dort kommen mit überdimensionierten Portionsgrößen, der überhöhten Essgeschwindigkeit und hohem Fett-, Salz- und Zuckergehalt gleich einige Grundübel derfalschen Ernährung zusammen.
Weitere Vorwürfe an die Nahrungsmittelindustrie sind hohe Marketing- und Werbebudgets für eigentlich ungesunde Produkte und die Verwendung von Geschmacksverstärkern, Farb- und Geruchsstoffen, um den Appetit der Kunden anzuregen. Wachsende Befürchtungen in Richtung „sugar is the new tobacco“ haben viele Unternehmen Akzente hinsichtlich „gesunder Ernährung“ setzen lassen. Die Risiken für Produzenten von als ungesund betrachteten Nahrungsmitteln gehen aber über mögliche Klagen durch Konsumenten hinaus. Es besteht auch ein regulatorisches Risiko, etwa für eine verstärkte Einführung von Junk-Food- Steuern oder für Steuern auf Nahrungsmittel mit hohem Fett- oder Zuckergehalt.
Frankreich führte bereits 2012 eine Softdrinksteuer ein, die als Abgabe auf Getränke mit Zuckerzusatz oder Ersatzstoffen definiert ist. Die Nahrungsmittelindustrie reagiert auf diese Bedrohung unter anderem mit Änderungen in der Produktpalette. Bestehende Produkte werden auf „weniger ungesund“ getrimmt, Zucker- und Fettanteile reduziert. Außerdem stellen die Unternehmen Mehrjahrespläne mit Zielen zur Reduktion von kritisierten Ingredienzien auf. Einige Fast- Food-Ketten beginnen, Obst und Gemüse quasi als „Beilagen“ zu entdecken. Zudem werden neue, gesündere Produkte eingeführt und die Standards in der Produktauszeichnung verbessert. Ein Beispiel hierfür ist die GDA – Guideline Daily Amount oder Richtlinie für den täglichen Verzehr. Sie soll Konsumenten in ihrem Essverhalten in positiver Weise unterstützen.
Internationale Kampagnen für eine Reduktion der Überernährung und die Förderung gesunder Ernährung sollen den Druck auf die Unternehmen erhöhen. Zu ihnen zählen die HWCF (Healthy Weight Commitment Foundation) und GAIN (Global Alliance for Improved Nutrition).Im Gegensatz zur Überernährung steht die quantitativ gemäßigte und gesunde Ernährung. Gesunde Nahrung liefert dem Körper die nötigen Nährstoffe, um seine Funktionalität zu erhalten oder sogar zu verbessern. Das Thema Functional Food ist davon getrennt zu betrachten. Functional Food oder funktionelle Lebensmittel werden mit zusätzlichen Inhaltsstoffen angereichert und sollen einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben. Meist sind positive gesundheitliche Wirkungen jedoch wissenschaftlich nicht wirklich nachgewiesen. Viele Nahrungsmittelhersteller reihen funktionelle Lebensmittel unter die gesunden Produkte ihres Warensortiments ein. Biologische Lebensmittel können zur Bekämpfung des Problems Fettleibigkeit theoretisch keinen
Beitrag leisten. Denn sofern Adipositas durch übermäßige Kalorienzufuhr verursacht und
nicht krankheitsbedingt ist, macht der Genuss von biologischen Lebensmitteln gegenüber herkömmlichen kaum einen Unterschied. Insofern sehen auch die Nahrungsmittelkonzerne biologische Produkte nicht als Problemlöser an. Auf der anderen Seite ist die
bewusste Ernährung oft der Auslöser für gesündere Ernährung. Somit kann die positive Wirkung biol gischer Produkte nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Fazit: Raiffeisen Capital Management ist derzeit in folgende Unternehmen im Bereich Nahrungsmittel, Restaurants und Einzelhandel investiert: Hain Celestial, Wessanen und SunOpta. Dabei handelt es sich in allen Fällen um auf Biolebensmittel spezialisierte Unternehmen.
Die Einschätzung der Themen Übergewicht und Fettleibigkeit in Bezug auf die einzelnen Nachhaltigkeitsdimensionen sieht wie folgt aus:
E (Umwelt): Übermäßiger Konsum von Nahrungsmitteln führt zu einer generell stärkeren Beanspruchung der natürlichen Ressourcen. Auch in Verbindung mit den Themen industrielle Tierhaltung und Fleischkonsum sind Fettleibigkeit und Ernährung für die Umweltseite relevant.
S (Soziales): Der Schwerpunkt für die Nachhaltigkeitsbewertung des Themas liegt zweifellos auf der sozialen Ebene. Viele Zivilisationskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Bluthochdruck hängen direkt mit Übergewicht zusammen. Fettleibigkeit ist zudem ein Risikofaktor für eine Verminderung der kognitiven Leistungsfähigkeit und für Demenzerkrankungen. Andererseits fühlen sich unter Adipositas leidende Menschen oft als Versager und Außenseiter, die Betroffenen werden mitunter sozial und beruflich ausgegrenzt.
G (Governance): Aus Governance-Perspektive stellt sich die Frage, wer die Folgekosten von Fettleibigkeit trägt. Fettsucht führt oft zu erhöhtem Medikamentenkonsum, einerseits im Zusammenhang mit Diäten, andererseits wegen der Behandlung psychischer Probleme.