16 Mär 2017
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Autor:
pin
/ Raiffeisen Capital Management
Es ist kein Zufall, dass sich verschiedensten Analysen zufolge die meisten Verstöße gegen Arbeitsrechte in der Textilbranche ereignen. Denn bei der Textilindustrie handelt es sich um einen Sektor, der sich durch relativ einfache Fertigungs-prozesse in Verbindung mit nur geringen techno-logischen Anforderungen auszeichnet. Zur Branche zählen vor allem traditionelle Bekleidungshersteller und Unternehmen, die Spezialisierungen in den Bereichen Sport, Leder oder Schmuck aufweisen. Der Absatz erfolgt meist über den Einzelhandel, zum Teil auch über eigene Geschäfte.
Die einfache Austauschbarkeit der Hersteller am untersten Ende der Wertschöpfungskette führt zu starkem Druck auf die Herstellungskosten, was wiederum beinharte Konkurrenz mit der Folge geringerer Löhne und sonstiger Aufwendungen in den Fabriken nach sich zieht. Dabei sind auch die Sicherheitsstandards ein großes Thema.
Dem Fabrikseinsturz in Sabhar / Bangladesch mit über 1100 Toten im Frühjahr 2013 gingen gravierende Sicherheitsmängel voraus. Eine Untersuchungskommission stellte grobe Fahr-lässigkeit fest, zudem waren für den Bau des Hauses minderwertige Materialien verwendet worden, das Bauland war für ein mehrstöckiges Gebäude nicht geeignet gewesen. Als Folge des Unglücks unterzeichneten große europäische und US-amerikanische Textilfirmen außerdem das mit internationalen Gewerkschaftsdachverbänden sowie NGOs ausgehandelte „Abkommen zum Brand- und Gebäudeschutz in Bangladesch“.
Beschäftigt man sich mit dem Thema Arbeits-rechte im Detail, so ist es die ILO (International Labor Organisation), die so genannte Kern-arbeitsnormen festgelegt hat. Damit verbunden ist das Ziel, dass diese Normen als Sozial-standards menschenwürdige Arbeits-bedingungen und einen hinreichenden Schutz der Arbeitnehmer gewährleisten sollen.
Zu den acht Kernarbeitsnormen zählen Konventionen über Zwangsarbeit, Vereinigungs-freiheit und Schutz des Vereinigungsrechts, das Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektiv-verhandlungen, Gleichheit des Entgelts, Ab-schaffung der Zwangsarbeit, Vermeidung von Diskriminierung, Mindestalter, Verbot und unver-zügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit.
Textilien
Der Textilsektor weist häufig eine kaskadenartige Konstruktion im Fertigungsprozess auf. Die gesamte Lieferkette, von der Fertigung über viele Stufen bis zum Einzelhändler, ist vielfach nicht transparent genug. Die an Sublieferanten outgesourcte Produktion wird auf tiefere und wieder tiefere Ebenen weitergegeben, sodass für den Textilkonzern als Auftraggeber letztlich ein Kontrollproblem entsteht. Verschärfend wirken die immer kürzeren Lieferzyklen für neue Kollektionen, die die Kurzfristigkeit der Fertigung und eine damit verbundene breite und undurch-sichtige Auffächerung der Produktion verstärken.
Mit der Undurchsichtigkeit der Lieferkette und der Kostenoptimierung verbundene potenzielle Imageschäden stellen ein Risiko für Marken und Retailer dar. Es sind dabei vor allem teure Labels, die im Falle von negativen Medienberichten vor einem großen Reputationsproblem stehen. Angesichts des geringen Anteils der Herstellungskosten an den Verkaufspreisen im Einzelhandel ist jeder arbeitsrechtliche Verstoß dem Konsumenten gegenüber nur sehr schwer zu argumentieren.
Daher bemühen sich viele prominente Textilhersteller, ein möglichst aktives Lieferkettenmanagement umzusetzen. Eine Verbesserung der Standards für die Herstellung, die fast immer an Partner ausgelagert wird, steht dabei im Mittelpunkt.
Unternehmen, egal ob Retailer oder Textilkonzerne, können der problematischen Entwicklung insofern gegensteuern, als sie für ihre gesamte Lieferkette eine tiefgreifende Due-Diligence-Prüfung einführen. In diesem Fall werden die Lieferanten aktiv gemanagt und einem Monitoring- und Auditierungs-Verfahren unterzogen. Zulieferer, die kritisch eingeschätzt werden, können auf diese Weise regelmäßigen intensiven Kontrollen unterzogen werden.
Ein Bonus-System für Lieferanten für überdurchschnittlich gute Arbeitsbedingungen kann zudem einen positiven Wettbewerb auslösen. Unzureichendes Wissen über Arbeitsstandards kann durch Best-Practice-Beispiele erweitert werden.
Aktuell zählen in der Textilindustrie Bangladesch, Vietnam und zuletzt auch Myanmar zu den Ländern, in denen die Arbeitskräfte am schlechtesten entlohnt – also am „günstigsten verfügbar“ – sind. Dabei rückt bei der Analyse der Entlohnung in den Fabriken immer stärker der Begriff der fairen „living wages“ – auf Deutsch übersetzt: das Existenzminimum – in den Mittelpunkt. In Bangladesch liegt der Mindestlohn aktuell bei rund 20 % des Existenzminimums, in China immerhin bei fast 50 %.
Fazit: Raiffeisen Capital Management ist derzeit in ein Unternehmen, das im Rahmen des Engagement-Prozesses adressiert worden ist, investiert.
Es ist dies das Unternehmen Gildan Activewear.
Das aus Nachhaltigkeitssicht vordringlichste Thema im Zusammenhang mit der Textilindustrie ist jenes der Arbeitsbedingungen in der gesamten Lieferkette. Immer wieder werden Produktionen in so genannten Sweatshops, also Ausbeutungsbetrieben, aufgedeckt. Die wesentlichsten Charakteristika sind dabei das Fehlen von Tarifverträgen, überlange Arbeits-zeiten, fehlender Kündigungsschutz und eine absolut wie auch relativ geringe Bezahlung.
Eine Möglichkeit für Unternehmen zur Ver-besserung der sozialen Standards in der Liefer-kette ist neben dem Fokus auf Transparenz auch die Kontrolle durch externe Organisationen. Arbeitsbedingungen in den Fabriken können vor Ort durch unabhängige Gutachter wie die FLA (Fair Labor Association) überprüft oder gemäß ISO (International Organization for Standardization), OHSAS (Occupational Health and Safety Assessment Series) oder EMAS (Eco-Management and Audit Scheme) zertifiziert werden.
Im Zusammenhang mit dem Thema Textilien zielt der Unternehmensdialog des Nachhaltigkeitsteams von Raiffeisen Capital Management auf Unternehmen in den Bereichen „Textil-Vormaterialien“ und „Textilhandel“ ab.
Worauf fokussiert das Supply-Chain-Management in Ihrem Konzern in Bezug auf Textilprodukte und textile Vorprodukte?
Gibt es einen eigenen Verhaltenskodex, der die Grundsätze der Arbeitnehmerrechte in der gesamten Supply-Chain vorgibt und soziale Aspekte behandelt?
Veröffentlichen Sie die gesamte Liste Ihrer Lieferanten und Sublieferanten?
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre gesamte Supply-Chain vorgegebene Regeln einhält? Existieren Richtlinien zur Beendigung von Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten?
Sehen Sie das Thema Korruption als Problem – vor allem an Billiglohn-Standorten wie Indonesien, Bangladesch, Vietnam und Myanmar?
Welche Rolle spielen für Sie Supply-Chain-Zertifizierungen nach Standards wie ISO, EMAS oder OHSAS?
Wie gehen Sie mit dem Thema „living wages“ um und wie definieren Sie diese?
Nachhaltigkeitsbewertung
Von den während unseres Engagement-Prozesses kontaktierten Unternehmen haben uns vor allem europäische Player Feedback gegeben.
Nicht alle Textilkonzerne fokussieren ihre Produktion auf Billigstlohnländer. Der spanische Konzern Inditex beispielsweise kauft mehr als die Hälfte seiner Kollektion in Ländern in der näheren Umgebung – diese werden als „proximity markets“ bezeichnet. Hanesbrands produziert
80 % seiner Textilien in eigenen Fertigungsstätten außerhalb der klassischen Billiglohnländer.
Was die Rohstoffseite betrifft, so sind die meisten Textilkonzerne stark auf Baumwolle fokussiert. Auch in diesem Zusammenhang hat Inditex einen anderen Weg gewählt und breiter diversifiziert. Man setzt unter anderem – je nach Modetrend –auf Leinen, Leder oder Viskose.
Die meisten Textilkonzerne setzen auf eine Kombination von internem und externem Monitoring respektive Zertifizierungen der Liefer-kette. Manche, wie etwa Gerry Weber, kontrollieren vor allem die erste Ebene im Detail und delegieren die Einhaltung der Standards für weitere Sublieferanten an diese Unternehmen. Die Katastrophe von Rana Plaza im Jahr 2013 scheint die Branche durchaus – und zwar in positiver Weise – aufgerüttelt zu haben.
Oft werden die Zulieferer geratet, je nach Er-füllung oder Teilerfüllung der vorgegebenen Standards. Bei Aussagen zu Gründen für die Beendigung der Geschäftsbeziehung zu Lieferantenunternehmen halten sich alle befragten Unternehmen eher bedeckt. Eine Kündigung aufgrund von Verstößen gegen ESG-Prinzipien scheint eher die Ausnahme zu sein.
Eine vollumfängliche Liste aller Lieferanten und Sublieferanten wird derzeit unter anderem von Adidas und Inditex veröffentlicht.
Adidas hat sich dem Thema Nachhaltigkeit in der Lieferkette sehr generell genähert. Die 2016 gestartete Strategie „sport needs a space“ deckt nicht nur die Produktion, sondern auch das Marketing und die Verwendung der Produkte ab. Für die Lieferkette wurden auch Ziele in Richtung weniger Wasserverbrauch und geringere Abfall-mengen festgelegt. Bis 2018 sollen die von Adidas verwendeten Baumwollsorten zu 100 % auf nachhaltige Produktion umgestellt sein.
Zertifikate sind für die Unternehmen in der Regel kein allzu großes Thema, es gibt aber einige sektorweite Initiativen. Gerry Weber hat die BSCI (Business Social Compliance Initiative) unter-zeichnet, eine wirtschaftsgetriebene Plattform zur Verbesserung der sozialen Standards in einer weltweiten Wertschöpfungskette. H&M hat mittler-weile das gesamte erste Level an Zulieferern gemäß Higg-Index der Sustainable Apparel Coalition zertifiziert, einem 2012 ins Leben gerufenen industrie-eigenen Standard der Textil-industrie zur Bewertung der Nachhaltigkeit der Lieferkette nach Umwelt- und Sozialkriterien. Auch Amer Sports trat der Sustainable Apparel Coalition 2015 bei.
Das Thema „living wages“ nimmt in der Textil-branche generell an Bedeutung zu, die genauen Definitionen sind aber von Unternehmen zu Unter-nehmen sehr unterschiedlich.
Bedeutung des Themas Textilien für die Nachhaltigkeitsdimensionen ESG:
E (Umwelt): Die Textilindustrie weist typischerweise einen relativ moderaten CO2-Fußabdruck auf. Die weitaus größere Herausforderung bei der Textilveredelung sind der hohe Wasserverbrauch und die Wasserverschmutzung. Im Bereich der verwendeten Vormaterialien werden zertifizierte Baumwolle (wie durch die „Better Cotton Initiative“) und zertifiziertes Leder („Leather Working Group tannery certification“) immer bedeutender. Ein weiteres wichtiges Thema für die Textilindustrie sind die Verwendung giftiger Chemikalien und das damit verbundene Gefahrstoffmanagement.
S (Soziales): Grundsätzlich sollten faire Produktionsbedingungen ein Grundsatz der Marktwirtschaft sein, auch in Bezug auf faire Bedingungen für die Arbeitskräfte. Unternehmen können und sollen nachhaltige Lenkungsmechanismen in Gang setzen, denn im Fall von Outsourcing delegiert das Unternehmen mit der Produktion nicht zugleich die Verantwortung für die sozialen und Umweltbelange in der Lieferkette. Der oft geringe Anteil der menschlichen Arbeitskraft an der Wertschöpfung für Produkte ist eine Folge der hohen Automatisierung sowie der arbeitsteiligen und globalisierten Wirtschaftsstrukturen, bietet aber Potenzial für Verbesserungen, die die Unternehmensgewinne nicht allzu sehr belasten.
G (Governance): Die staatliche Seite hat für Gesetze und Vorschriften für geeignete Arbeitsbedingungen Sorge zu tragen. Wesentlich ist auch das Monitoring dieser Vorgaben. In diesem Zusammenhang ist das Problem der Korruption, die eine wirksame Arbeitnehmerpolitik untergraben kann, von großer Bedeutung.
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